Frankfurter Allgemeine Zeitung: Die Kinomacher


FAZ 18. Mai 2009, Stephan Finsterbusch

Carell, Knippel und Reuter bauen mit Nowtilus dem Software-Riesen Microsoft einen Filmvorführungssaal ins Internet

Drei Freunde und eine Idee: Sie dreht sich ums Kino, um das ganz große Kino - ohne Saal und ohne Leinwand, aber mit Flachbildschirm und Computermaus. Der erste Klick führt ins Netz, der zweite auf den Film, mit dem dritten geht es los: Vorspann, Hauptprogramm, Abspann. Das Programmheft kennt kein Ende, die Auswahl ist riesig. Leander Carell, Patrick Knippel und Steffen Reuter beschreiten neue Wege.

Die passionierten Filmemacher und Kinoproduzenten aus Ostdeutschland entwarfen ein Geschäftsmodell und erstellten eine Software, die je nach Wunsch und Laune Bruce Willis oder Nicolas Cage auf den heimischen Laptop holt, Nicole Kidman oder Angelina Jolie, die Blues Brothers, den Terminator oder Harry Potter. Das hat die drei in der Branche selbst zu einer Art Wunderkinder werden lassen.

Seit sie im vergangenen Jahr die große Microsoft Corp. in den Kundenkreis ihrer kleinen Firma Nowtilus Onlinevertriebsgesellschaft in Halle an der Saale aufnehmen konnten, ist ihr Stern am Steigen. Private Kapitalgeber legen ihnen lukrative Angebote zur Finanzierung des weiteren Wachstums vor. Etablierte Medienriesen zeigen Interesse an den Produkten der drei studierten Jungunternehmer. Nun zählen sie auch MyVideo.de des TV-Konzerns Pro Sieben Sat.1 zu ihren Kunden.

Die wachsende Nachfrage ist kein Wunder, verbringen doch immer mehr Menschen einen großen Teil ihrer Zeit vor ihrem Computerbildschirm statt vor ihrem heimischen Fernsehgerät. Hier werden sie von Carell und Co. abgeholt. Ihr Zauberwort heißt Video an Demand - Filme auf Bestellung, zu jeder Tages- und Nachtzeit. Finanziert werden die Angebote für computerbasierte Cineasten aus den mit den jeweiligen Filmen verknüpften Werbevideos. Großes Kino, gesponsert über die Marketingbudgets von Konzernen. In Zeiten, in denen laufende Bilder Millionen von Menschen bewegen, in denen Visualisierung am Computer und Illusionen auf dem Bildschirm die Wahrnehmungen der Nutzerschar erobern, in denen die Kinos immer noch gut besucht sind, der Verkauf von Film-DVDs aber stark zurückgegangen ist, scheinen die kaum dreißig Jahre alten Filme- und Kinomacher aus Halle zu so etwas wie dem Gral der Branche vorgedrungen zu sein.

Die Gründer

Der Computer macht es möglich, das Internet wirklich. So können Filme heute nicht mehr nur über große Fernsehsender und Kinobetreiber zum Publikum gebracht werden. Sie lassen sich auch über moderne Breitbandtechnik ins Wohn- oder Arbeitszimmer bringen. Ein Mausklick genügt, die Programme zu öffnen, herunterzuladen und in die bunte Welt des Kinos einzutauchen. Dafür liefert Nowtilus die Software. Darüber hinaus hat die hallesche Firma sofortigen Zugriff auf eine Videothek von mehr als 2500 Filmen. Mit ihrer Handvoll Mitarbeiter kümmert sie sich für ihre Kunden aus dem Unternehmensbereich um Lizenzen und Rechte, um Verträge, Nutzungsgebühren, zielgruppengerecht geschnürte Filmpakete und deren Vermarktung.

In Deutschland und Europa wollen die drei Nowtilusse nun vielbesuchte Internetseiten mit ihrem Angebot attraktiver machen. "Angefangen hatte alles in unserer Produktionsfirma", sagt Carell. Die heißt Schmidtz Katze Filmkollektiv GmbH, war 2003 von den drei Freunden ins Leben gerufen worden und produzierte in den vergangenen sechs Jahren neun große und kleine Filme. Darunter Streifen wie "Metamorphosis", "Devot" und "Black Ice". Für dieses Jahr stehen zwei Filme auf der Agenda. Das Unternehmen ist zwar noch klein, doch schon gut im Geschäft. "Als wir merkten, dass aus der langen Gewinnkette der Branche kaum etwas bei den Produzenten ankommt, stiegen wir in die Distribution ein und gründeten Nowtilus", sagte Carell.

Der Schlüssel zum Erfolg nennt sich Vod-Box, ist ein zusammengepuzzeltes Computerprogramm aus dem Hause Nowtilus und dient dem Abspielen von Filmen. So kann es Filmportale wie MSN Movies von Microsoft oder MyVideo von Pro Sieben Sat.1 bedienen. Als große Medien- und Telekomanbieter 2006 mit eigenen Internet-Videoportalen auf den Markt gekommen waren, ging auch Nowtilus an den Start. Nach dem Vorbild der amerikanischen Hulu.com hatten Carell, Knippel und Reuter, die Medienkaufmann, Schauspielerei und Wirtschaftswissenschaften studiert hatten, Violine, Kontrabass und Klavier spielen können und Ihre Lehrjahre allesamt in etablierten Medienfirmen verbrachten, im Sommerurlaub einen Businessplan erarbeitet.

Dabei hoben sie ein Geschäftsmodell für den computerbasierten Videovertrieb aus der Taufe. Sie gründeten über ihre bereits bestehende Produktionsfirma Schmidtz Katze eine Vertriebsgesellschaft und investierten 200 000 Euro. Zwei Jahre später standen sie in der Tür von Microsoft. Im Juni vergangenen Jahres gab es zwischen dem Software-Riesen und dem Start-up erste Gespräche. Im September lag ein Vertrag vor. Im Oktober ging es dann los - auf der vielbesuchten Internetseite von MSN Movies. "Der Vertrag mit Microsoft rückte uns ins Scheinwerferlicht der gesamten Branche", sagt Carell.

Seitdem generiert Nowtilus einen kleinen, aber feinen Mittelzufluss (Cash-flow), sorgt in der Branche für Aufsehen und kann große Pläne hegen. Der Schritt nach Hollywood ist einer der Träume. Die Realität liegt in den Büros in der obersten Etage des Multimediazentrums von Halle. Die Räume sind spartanisch eingerichtet - ein paar Schreibtische, eine Eckcouch, ein TV-Set und eine handvoll Laptops. Auf den Bildschirmen tauchen ständig neue E-Mails auf. Carell, Knippel und Reuter sind viel gefragt, machen sie doch das Kino von morgen, das ganz große Kino. (FAZ Menschen & Wirtschaft 18.05.2009)